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Was macht eigentlich...?

Was macht eigentlich…? Teil 11: Jürgen „Turbo“ Hasse

Das personifizierte Duracell-Häschen ist Jürgen „Turbo“ Hasse, eine Sabbenhausener Vereinslegende. Teil 11 unserer Serie gehört ihm. Klickt mal hinein.

„Ihm schlotterten die Knie“

Was macht eigentlich…? (hk). Jürgen „Turbo“ Hasse ist der Uwe Seeler des lippischen Fußballs. Optisch, weil seine Frisur ebenfalls seit geraumer Zeit sehr pflegeleicht, da luftig daherkommt. Ein schönes Gesicht braucht eben Platz. Auch die Vereinszugehörigkeit ist vergleichbar mit der Fußball-Legende vom Hamburger SV. Hasse ist einer, der seinem TSV Sabbenhausen ewige Treue schwor, diese auch mit jeder Faser seines Körpers lebte. Erst als laufstarker Spieler, dann zehn Jahre als Coach der TSV-Damen-Mannschaft. Man würde sich mehr von dieser Sorte wünschen, denn Hasse ist einer vom alten Schlag, ein Fußball-Idealist, über den man sagen würde: Erst, wenn er tatsächlich den Kopf unter seinem Arm hätte, dann würde er wohl vom Fußball Abstand nehmen. Der mittlerweile 55-Jährige blickt mit Wehmut auf seine Spielerkarriere zurück, betrachtet die aktuelle Situation nicht ohne eine gewisse Sorge. Was wahrlich beeindruckend ist: Sein persönliches Archiv über seine aktive Spielerkarriere. Mancher Sporthistoriker würde dabei feuchte Augen bekommen.

 

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Von Henning Klefisch

 

Die Zeiten ändern sich, die Zeiten verändern zugleich auch jeden Spieler. In den 80er, 90er  und sogar Nuller-Jahren, als Hasse als Dauerläufer für seinen Heimat- und Herzensverein Strecke machte, das waren noch Zeiten. Bemerkenswert: Das letzte Training bestritt er mit 33 Jahren, spielte sogar noch bis zum 52. Lebensjahr. Erstaunlich:  In elf Tagen lief er sieben Mal auf. Schnell und ausdauernd, das war er. Ein Fußball-Stratege eher nicht. Er war keiner, der für die Oh‘ s und Ah‘ s bei den Schaulustigen sorgte. Aber für die Mannschaft war er dank seiner Leidenschaft ungeheuer wichtig. Immer auf Trab, stets in Bewegung. Hätte das Urgestein Kilometergeld kassiert, dann wäre er jetzt ein reicher Mann. Vielleicht mit einer Villa in Saint-Tropez, wenn man sein  Laufvermögen betrachtet. Wobei: In diesem Promi-Ort hätte sich der heimatverbundene und bodenständige Hasse wohl eher nicht so wohlgefühlt. „Ich war extrem schnell, wendig, hatte keine Übersicht, kickte bis ins hohe Alter“, so Hasse, der nicht von ungefähr durch seinen Onkel, den Schiedsrichter Johann Marx, den Spitznamen „Turbo“ verpasst bekam. Für einige war das mehr als nur ein Spitzname. Er schmunzelt: „Etwa bei uns in der Firma, der Sankt Elisabeth-Stiftung, seit 2012 arbeite ich dort als Elektriker. Jürgen Hasse? Den Namen kannte keiner. Sie sahen ein Bild und meinten: Turbo. Viele haben mich gefragt: Wie heißt du eigentlich richtig?“

 

„Heute wechseln die Spieler oft sehr schnell.“

 

Mensch, was waren das nur für wilde, unvergessliche Zeiten. Besser geht es nicht? Durchaus. Denn in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, den 50er und 60er Jahren, da machte Vater Franz-Josef, auch „Trapper“ genannt, fußballerisch von sich reden. Bis zu 1200 Zuschauer strömten auf die lippischen Fußballplätze. Nicht verwunderlich, denn viel mehr andere Freizeitangebote gab es damals noch nicht und die Dankbarkeit für Bewegungssport war größer als in diesen Tagen. Was Hasse Junior am aktuellen Fußball so stört: „Heute wechseln die Spieler oft sehr schnell. So Talente wie Christian Arnold eines war, wären heutzutage schon früher in Paderborn oder Bielefeld.“ Heute lässt sich mit dem Fußball eben deutlich mehr Geld verdienen. Einige Eltern, auch Kicker, wissen das und streben so früh wie möglich in ein Nachwuchsleistungszentrum, um die Wahrscheinlichkeit auf eine lukrative Profikarriere zu erhöhen. Nicht immer, aber zu oft ist der monetäre Ansatz ausschlaggebend. Die Hasses bilden den Gegenentwurf dazu ab. Als „Trapper“ selbst noch zarte 17 war, ging es in das Heimspiel gegen die Spielvereinigung  aus Brakel. Der Mitspieler von Hasse Senior sagte vor dessen Senioren-Premiere: „Guckt mal, ihm schlotterten die Knie, als er seinen Namen in der Aufstellung las.“ Die Söhne führten diese fußballgeprägte Familientradition fort. Sie waren einige von ganz vielen Hasses. „Damals hießen in Sabbenhausen alle Hasse oder Marx, wir spielten mit unseren Brüdern und Freunden zusammen“, lacht „Turbo“ im Lippe-Kick Gespräch.

 

 

 

 

Sabbenhausen als großer Favoritenschreck

 

Lasst uns eine Zeitreise unternehmen. In die wilden 90er Jahre, konkret: In die Spielzeit 1991/92. Damals schaffte der TSV Sabbenhausen frisch den Sprung in die Bezirksliga. Das ganze Dorf war stolz wie Bolle. Noch mehr: Sie waren vielleicht ein wenig verliebt in ihre lokalen Fußball-Heroes. Der Start war ordentlich bis gut. Hervorzuheben ist die Saisonpremiere gegen den Landesliga-Absteiger TSV Detmold, mussten die Residenzler doch mit einer beschämenden 0:4-Demütigung die weite Heimreise antreten. Doch selbst kurz vor der Winterpause waren es weiterhin nur noch zwölf Punkte im Abstiegskampf. Das Abstiegsgespenst war ein treuer Begleiter für die Kicker aus dem kleinsten Dorf aus der Bezirksliga. Kurz vor der Winterpause das Husarenstück: Der erneute Sieg gegen den TSV Detmold. Diesmal auf den Pinneichen. Dort spielte die brillante Jugoslawien-Connection um die Balkan-Zauberer Memo Memic und Gregor Galdirz. Viele zog es aus den Kriegswirren Richtung Deutschland. Mit Halilovic war sogar ein EM-Teilnehmer von 1984 mit dabei. Der eingewechselte Hasse-Bruder Joachim krönte sich mit einem prächtigen Traumtor auf dem Aschenplatz zum Matchwinner. Die Rückserie begann mit vier Monster-Aufgaben. Es ging gegen die Spitzenteams Lockhausen (3:1), Schwalenberg (3:0), Ahmsen (2:1) und Warburg  (2:1). In der lokalen Presse kam die Frage auf: „Wovor habt Ihr am meisten Respekt vor? Wir müssen noch nach Sabbenhausen“, war die identische Antwort vom gegnerischen Trainer-Quartett. Der Respekt sollte zurecht gezollt werden, denn alle vier Heimspiele gewannen die Südostlipper, waren nach dieser Energieleistung „stehend K.o.“, wie es „Turbo“ zugibt. Nach den Spielen wurde intensiv gefeiert – mit 120 Feierbiestern in der lokalen Vereins-Kneipe „Zu den 3 Linden.“  Zunächst bekleidete Hasse die Rolle als Vorstopper, ehe ihn der „Lange“, er meint Wolfgang Wächter, zum Mittelfeldmann umschulte. Sein Bruder Joachim war definitiv mit mehr Talent gesegnet, knallte in der A-Klasse respektable 40 Hütten, wurde sogar Torschützenkönig. Wenig überraschend, dass für ihn lukrative Offerten eintrudelten. Der Lokalrivale TuS Westfälische Eiche Lügde warf seine Angel aus. „In der Kneipe haben sie gesagt: „Da kannst Du über Rischenau nach Lügde fahren“, kichert Jürgen Hasse. „Wir waren damals schon ein verschworener Haufen“, weiß er zu berichten.

Stefan Klobusch

Nach dem ersten Bezirksliga-Jahr hat Wächter mit  Nourbaksh Babak einen Stürmer mitgebracht. Schnell stellte sich heraus: Babak konnte kicken. Und wie. Blöd nur, dass es ihn im zweiten Jahr beruflich nach Köln zog. Die Mannschaft erkannte den Wert von Babak, wollte zusammenlegen, um ihm die Fahrtkosten zu erstatten. „Ihr seid verrückt, sagten einige“, berichtet Hasse. Oder Stefan Klobusch (Bild links), heute Coach beim Detmolder B-Ligisten Blomberger SV II und früher „eine Granate“, so Hasse über den ehemaligen Oberligafußballer. Klobusch, fußballerisch durchaus ein Feingeist, monierte im Training ein Foulspiel, rannte mit dieser Beschwerde zu Wächter, der ihm nur erwiderte: „Setz dich durch.“

 

„Jeder konnte etwas Besonderes.“

 

Früher war die Mentalität außerordentlich wichtig. „Heute sind sie technisch und vom Spielverständnis her besser, individuell waren wir jedoch stärker. Wir waren mehr Instinktfußballer“, erstaunt diese Aussage auf den ersten Blick ein wenig. In der Vergangenheit jedoch, da war die Bolzplatzmentalität um ein Vielfaches mehr ausgeprägt, der Straßenkicker war en vogue. „Wir haben unsere Grenzen selbst ausgetestet, brachten uns selbst etwas bei“, so Hasse. Genau dies prangern sogar der DFB-Superminister Oliver Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw unverhohlen an. Gerne zitiert Jürgen Hasse an dieser Stelle den argentinischen 86-er-Weltmeister Daniel Passarella, der sich stets wunderte: „Was wollt Ihr einem 16-Jährigen taktisch beibringen.“ Der Hintergrund: In Südamerika wird gepredigt, dass die Spieler in diesem Entwicklungsstadium den Fokus auf sich selbst legen sollen. „Kinder bringen sich das selbst am besten bei. Das taktische Verhalten, das Athletische, das lernen die doch eigenständig“, meint der Wirbelwind und blickt zugleich sehnsüchtig auf die eigene Kindheit zurück. Die Hasses hatten vier Kinder. Die drei Jungs jagten sehnsüchtig dem Ball hinterher. Auf dem Sportplatz war die Ellenbogenmentalität angesagt. Der Älteste war dort 14, der Jüngste sieben Jahre alt. Jeden Tag ging es raus auf den „Bolzer“, solange, bis es dunkel wurde oder die Mutter zum Essen rief.  „Wir hatten nichts anderes“, so Jürgen Hasse, der auch deshalb nichts vermisste. Perfektionismus, den gab es damals nicht. Man wuchs mit den Herausforderungen, den Aufgaben, den Widrigkeiten. Gejammert wurde nicht, sich vielmehr den Gegebenheiten angepasst.

„Jeder konnte etwas Besonderes“, berichtet der Fußball-Verrückte gegenüber Lippe-Kick. „Heptner konnte keinen Ball annehmen, aber hatte einen Schuss wie ein Pferd“, erinnert er sich an seinen besten Kumpel. Noch mehr: „Er war wie ein Halbbruder für mich, hat immer sonntags vor den Spielen bei uns zu Hause gegessen.“ Dort wurde natürlich vor allem über das folgende Spiel philosophiert, eine Taktik- und Gegneranalyse war erforderlich. Die Verbundenheit hält bis heute an. Sie fahren gemeinsam mit Joachim in den Skiurlaub. Apropos Verbundenheit. „Turbo“ ist ein echter Ehrenmann. Einer, der nicht bei jedem Sturm davonrennt. Ende der 90er Jahre wurde es für den TSV-Trainer Arthur Chust aber mal so richtig brenzlig. Das Problem für Chust: Er folgte auf Wolfgang Wächter, wurde stets mit ihm verglichen. Dann wurde er von seinen Aufgaben entbunden. Der empathische Spielführer war gefordert, erläutert dazu via Lippe-Kick: „Als verantwortlicher Mannschaftskapitän hatte ich mir meine Gedanken notiert, um sie dem damaligen Vorstand präsent zu machen. Schwere Kost damals, zumal Addi 1983 mein erster Trainer im Seniorenbereich gewesen ist.“ (Als Bilder seine Originalschrift, die er verfasste). Elmar Hartmann folgte auf Chust.

 

 

 

 

 

„Die Bauernschläue, der Instinkt, das fehlt.“

 

Wer kennt das nicht? Gebetsmühlenartig wiederholen es die Großeltern: Früher war alles besser. Naja, die Ahnen besitzen auch die besondere Begabung, die Vergangenheit zu romantisieren.  Schließlich ist eine Überprüfung der aufgestellten Thesen nicht so leicht möglich. Dennoch, die Vergangenheit war anders, unbeschwerter. Der Fußball war irgendwie besser, populärer. Früher schindete man Eindruck, wenn man in einem Fußballverein kickte, dort auch Leistung zeigte. Die Männer zollten Respekt, die Frauen himmelten einen an. Manchmal. Heute zählen für zu viele Menschen primär die Follower, die Likes. Sehen und gesehen werden, am liebsten jedoch nicht persönlich. Nicht immer, aber zu häufig. Schon vor Corona. „Für die Zuschauer war es ein Stück weit interessanter“, betont Jürgen Hasse, der das als „schade“ empfindet, sogar ein wenig Mitleid zeigt.  Er möchte der heutigen Spielergeneration keine Vorwürfe machen. „Die Jungs verpassen den Fußball, so, wie wir ihn erlebt haben“, erklärt „Turbo“ gegenüber Lippe-Kick. Wenn diese nur wüssten, was sich für Völkermärsche Richtung Sabbenhausener Sportplatz  aufmachten. „Die Stimmung war explosiver. Wenn wir das Duell gegen Lügde hatten, war Schalke gegen Dortmund eine Blutsbrüderschaft dagegen“, klatscht er sich dabei auf die Schenkel. Der Fußball stand eben früher mehr im Fokus. Die Spieler waren anders gepolt. „Wir brauchten und wir hatten Drecksäcke. Das war aber weit weg von Unfairness“, unterstreicht Jürgen Hasse. So erinnert er sich vor allem an den torgefährlichen Mittelfeldmann Frank Laabs. „Er war auf der linken Seite, ich auf der rechten Seite. Somit waren wir direkte Gegenspieler. Er hat immer festgehalten. Dann gab es einen Ellenbogeneinsatz von mir. Die Folge: Er hat im zweiten Durchgang einen Turban getragen.“ Sehr beeindruckend für „Turbo“: „Er war super ehrlich, überhaupt nicht nachtragend.“ Ja, das waren noch Zeiten! Woran mangelt es denn im heutigen Fußball? „Die Bauernschläue, der Instinkt, das fehlt. Ebenso der Automatismus, das Antizipationsvermögen. Ich bin mir nicht zu schade, Torschüsse, auch das Zweikampfverhalten zu üben.“

Achso, was macht Jürgen „Turbo“ Hasse heute eigentlich so? Eine schöpferische Pause. Bis Sommer 2020 trainierte er den Damen-Bezirksligisten TSV Sabbenhausen. Sein finales Match war ein glanzvoller 5:1-Auswärtstriumph beim SV Hüllhorst-Oberbauerschaft am 17. November 2019. „Die Mannschaft hat den gleichen Charakter wie wir damals auch. Andreas Heptner und ich haben die Mädels mit unserem Erlebten gequält. Dafür haben sie unvergleichliche Geschichten erlebt. Wir sind immer Underdog gewesen, mussten mit dem knappen Kader durch die Bezirksliga gehen. Fast wie früher. Sport ist wie das Leben. Gefühlsschwankungen, die gehören dazu“, sind diese Schlussworte äußerst bedeutsam.

Wobei. Für Lippe-Kick, da bleibt ein inniger Wunsch: Bitte mehr von solchen echten, fußballverrückten Sportskanonen wie Jürgen „Turbo“ Hasse eine ist. Der Rekordspieler vom TSV Sabbenhausen, der mit viel Leidenschaft und Hingabe der schönsten Nebensache der Welt nachgegangen ist.

 

 

 

 

Bild-Quelle, Text-Quelle: Hasse-Privat, Lippische Landeszeitung, Pyrmonter Nachrichten, Neue Westfälische,Westfalen-Blatt. 

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