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Historisch

Historisch – TSV Sabbenhausen

Die TSV Sabbenhausen-Legende Jürgen „Turbo“ Hasse blickt in aller Ausführlichkeit auf die illustre Vereins-Geschichte zurück. Einige spannende Anekdoten erzählt er uns.

 

Von Triumphen, Liebe, Freundschaft und ganz viel Fußball

 

Historisch (th). Die frühzeitlichen Aufzeichnungen sind in den Wirren des 2. Weltkrieges verschollen. Zeitzeugen gibt es längst nicht mehr und erste lebendige Überlieferungen durfte ich, Jürgen „Turbo“ Hasse, von Willi Thiele, Mitbegründer der neu formierten Mannschaft aus dem Jahr 1956 erfahren. Zu dieser Zeit, Mitte der 50er-Jahre, handelte man in den Vorstandssitzungen des Vereines Themen ab, die heute unvorstellbar sind. Wie etwa: Erlaubt die Vereinskasse den Erwerb eines zweiten Spielballes? Welcher Bauer kann uns eine brauchbare Wiese als Spielfeld zur Verfügung stellen? Wie bringen wir für die Auswärtsspiele Kirchgang und Anstoßzeit in Einklang? Nicht nur diese Fragen werden im folgenden Bericht beantwortet.

 

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Die Rahmenbedingungen eines Fußballspieles stellte Thiele für heutige Verhältnisse fast abenteuerlich dar: „Auswärtsfahrten wurden fast ausnahmslos mit dem Fahrrad bewältigt, oft saß ein Mitspieler auf dem Gepäckträger. Umgezogen wurde sich in der Kneipe oder im FKK-Bereich der reichlich vorhandenen Landschaft. Duschen nach dem Spiel gab es nicht, außer der Dorfbach fand sich in unmittelbarer Nähe, dann wurde natürlich auch im November die Körperpflege nicht vernachlässigt. Wir waren Kriegsware, nicht aus Pappe.“
Sportliche Erfolge hielten sich damals erstmal vornehm zurück. Der TSV fristete sein Dasein fast ausnahmslos in der untersten Spielklasse, deshalb wird von den wenigen Überlebenden dieser Zeit über den sensationellen Gewinn des Süd-Ost-Pokal Mitte der 60er-Jahre heute noch mit Tränen in den Augen berichtet.

 

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Nackenschmerzen in Sabbenhausen

 

Laut Thiele gab es zu dieser Zeit nur den einzig wahren Prototypen eines Fußballspielers: „ Körperlich absolut robust und auch komplett angst– und schmerzfrei musste er sein. Technische Limitationen mussten selbstverständlich mit bedingungslosem Einsatz wettgemacht werden. Die interne Hierarchie im Team ergab sich aus der Fähigkeit, den Ball am weitesten nach vorne zu dreschen.“ Diese Ausführungen Thieles wurden vorbehaltlos vom späteren Fußballobmann der 80/90er-Jahre „Ede Bergmannshoff“ bestätigt. Bergmannshoff verschlug es 1962 nach Sabbenhausen. Er kam aus dem Ruhrgebiet und hatte dort durchaus hochklassigen und kultivierten Fußball erlebt. Noch heute hallen mir seine in hunderten geführten Kneipengesprächen gefallenen Wörter im Ohr: „Als ich hier in Samsen mein erstes Spiel machte, hatte ich abends Nackenschmerzen. Mein Blick war stets nach oben gerichtet, 90 Minuten rauschten die Bälle über mich und das Mittelfeld “, so kommentierte er den Spielstil. Bergmannshoff war wahrscheinlich der Erste, der ganz unbewusst mit dem scheinbar unverwundbaren, sympathischen Gegensätzen dieses Vereines Bekanntschaft machte. Ein Ruhrgebietler erlebt im tiefsten lippischen Südosten feinstes und englisches Kick-and-Rush.

 

 

 

Nervenaufreibender, aber erfolgreicher Klassenkampf

 

In den 70er-Jahren verbesserte der TSV Sabbenhausen kontinuierlich seine Strukturen. Fast alle Jugendmannschaften wurden besetzt und die Trainingsbedingungen wurden nicht zuletzt durch die Errichtung einer Flutlichtanlage enorm verbessert. Erstmals gab es auch Zulauf aus den Nachbarvereinen. Spieler wie Tenge, Tappe und Hasse verstärkten den TSV, der nun auch in den eigenen Reihen Akteure wie W. Brenker, Kruse oder die Potthast-Brüder von lokalem Format hatte. Dennoch, die ganz großen Erfolge des TSV Sabbenhausen finden ihren Ursprung in den frühen 80er-Jahren. Die damalige A-Jugend des Vereines war enorm erfolgreich, ein Pool von sechs bis acht Spielern war im Auge des Machers Bergmannshoff mehr als nur Kreisliga-B-tauglich. 1983 sicherte sich das Kreisliga B-Team erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt. Um den jungen Spielern der A-Jugend eine Perspektive bieten zu können, engagierte Bergmannshoff den landesligaerfahrenen Spielertrainer Addi Chust. Dies war der erste Schlüsselmoment für die späteren Erfolge des Vereines.

 

 

 

Finanzielle Dorf-Eliten sind gönnerhaft

 

Insbesondere für die jüngeren Spieler war Chust ein Erlebnis. Sie lechzten nach seinen Erfahrungen, seinen Erfolgen und wollten all das auch erleben. Daher tolerierten sie seine knallharten Trainingsmethoden widerspruchslos. Außerdem war Chust ein begnadeter Unterhalter, ein Menschenfänger, die Kneipenabende nach dem Training garantierten beinahe jedes Mal Tränenlachen.

Fast logisch, dass der TSV sich 1984 erstmals als A-Ligist titulieren lassen durfte. Die finanziellen Eliten des Dorfes honorierten diesen Erfolg damals gönnerhaft. Das gesamte Team bekam einen viertägigen Aufenthalt auf Mallorca fast komplett geschenkt. Damals sensationell. Auch modisch war der TSV zu dieser Zeit en vogue. Bis Anfang 1983 waren in den Hobbyligen die kurzen Sprinterhosen Standard in der Trikotbekleidung. Auf Mallorca erstand der TSV einen Satz himmelblauer Trikots, deren Hosen bis zum Knie reichten.

Jürgen Hasse

Mit diesen “Schlafanzügen “ war der Verein zumindest in Lippe modischer Vorreiter.
Als Aufsteiger begeisterte das Team in der A-Liga mit Angriffsfußball und gewinnt den Offensivcup. Addi Chust verließ den TSV im September 1985 nach dem verpatzten Saisonstart. Trainer Glaubitz folgte, wurde aber dubios nach nur einer Saison entlassen. Unter der Regie von Rainer Rhode stieg der Club 1987 ab in die Kreisliga B.

 

 

 

Das wichtigste Spiel der Vereins-Geschichte

 

Für das Ziel des sofortigen Wiederaufstieges wird abermals Addi auf die Kommandobrücke geholt. Die Mannschaft wird ihrer Favoritenrolle gerecht und startet souverän, bis im Herbst eine nie dagewesene Verletzungsmisere eintritt. Leistungsträger wie Brenker, Heptner, Achim und Jürgen Hasse, Meier und Morsch erleiden Beinbrüche und schwere Bänderverletzungen und fallen langfristig aus. Es grenzt an ein Wunder, dass die Mannschaft den Kontakt zum Rivalen aus Kohlstädt halten kann. Im Mai 1988 kommt es zum absoluten Show Down. Entscheidungsspiel im Waldstadion von Bad Meinberg gegen den TSV Kohlstädt. Es wird für den TSV zu einem unglaublichen, dramatischen Schlüsselmoment. Im Hinblick auf den folgenden erfolgreichen Werdegang des Vereines ist es ohne Übertreibung das wichtigste Spiel der Vereins-Geschichte.

 

 

Goldene 90er-Jahre

 

Der TSV Kohlstädt liegt in der zweiten Halbzeit der Verlängerung mit 1:0 vorn, bis Achim Hasse mit dem wichtigsten Tor seines Lebens ausgleicht. Es kommt zum Elfmeterschießen um den Aufstieg. Der TSV aus Sabbenhausen behält die Nerven, setzt sensationell alle fünf Elfer ins Netz, siegt 6:5. Die anschließende Feier bleibt bei fast allen Teilnehmern als sehr skurril in Erinnerung. Neben Freude und Ausgelassenheit belasten viele Spieler die totale körperliche Erschöpfung und immer noch Tränen der Anspannung. Vielleicht waren sie sich in diesem Moment bewusst, dass sie ohne diesen wichtigen Sieg nur eine ganz kleine Randnotiz in der lippischen Sportgeschichte gewesen und geblieben wären.
So ist es der perfekte Startschuss für den Beginn der goldenen 90er-Jahre für diesen kleinen Dorfverein. Von nun an mutiert er endgültig zum trotzigen gallischen Dorf auf Lippes Landkarte. Die Konstellation ist genial, die Mannschaft ist immer noch jung und hungrig und kennt sich seit Jugendzeiten schon über ein Jahrzehnt. Der Vorstand arbeitet zielorientiert und erkennt das künftige Potenzial. Federführend unter Karl Heinz Klus und Ede Bergmannshoff engagiert der Vorstand Wolfgang Wächter als Trainer. Ein Glücksgriff. Wächter wird hier während seiner sechsjährigen Amtszeit zur lebenden Legende.

 

 

Legendäre Wächter-Sätze

 

Wächter überzeugt mit modernen Trainingsinhalten, ohne irgendwelchen Hypes nachzulaufen, die gerade „in“ sind. Sein Training ist sinnvoll und pragmatisch. Seine Art, eine Mannschaft zu packen, ist einmalig und ganz weit weg vom langweiligen Mainstream einiger heutiger Bundesliga-Trainer. Er kennt sich im örtlichen Fußball aus und ist ein absoluter Fachmann, jeder Spieler spürt das und genießt es. Aber das größte Pfund, mit dem er wuchert, ist seine Präsenz, seine Ausstrahlung. Für uns Spieler sind seine Mannschaftssitzungen am Donnerstag nach der Trainingseinheit auch nach über 20 Jahren heute noch legendär. Immer, wenn wir uns heute treffen, zitieren wir einzelne Passagen von ihm: „Ralf, erzähl mir mal die 71. Minute, was sollte das Zeichen bedeuten…?“
„ Rick, erzähl mir nix, mit so einem Kopfball machst du nur den Torwart stark, es hätte das 2:2 sein müssen …“
„ Arne, ein Spieler wie du, das ist mir einfach zu wenig, viel zu wenig..“
Man musste diese Sätze im Kontext verstehen und im Vergleich zum Berufsleben hat uns keine Kritik so angefasst, wie die vom „Langen.“ Es passte einfach, Wächter hatte eine unglaubliche Aura und wir wollten diesen Typen auf keinen Fall enttäuschen und waren unbedingt bereit, für unser Hobby zu leiden.

 

 

TSV Sabbenhausen als Zuschauermagnet

 

Und auch die Heimfans sorgen für eine fantastische Stimmung in der Wörmkearena. © A. Bell / Lippe-Kick

Das zahlte sich aus. 1990 wird der TSV Vizemeister, 1991 gelingt der Aufstieg in den Bezirk. Sportliche Erfolge hin und her, die Saison 91/92 wird die wohlgefühlt schönste der Vereinsgeschichte. Als Aufsteiger vertritt der Verein das kleinste Dorf der Liga und auch für den finanziellen Etat gilt wohl das gleiche Attribut. Das Dorf ist euphorisch, , 250- 350 Zuschauer bei den Heimspielen sind fast Standard und trotzdem grüßt der Aufsteiger zur Winterpause als Abstiegskandidat.

Die Mannschaft der SG Belle/Cappel bedankt sich für den Support. © A. Bell / Lippe-Kick

Wächter legt zu Beginn der Rückserie noch mehr Wert auf Fitness und diszipliniertes Abwehrverhalten. Ab Mitte März kommen die Wochen der Wahrheit für das Team. Nacheinander muss die Mannschaft gegen die vier Meisterschaftsanwärter TSV Schwalenberg, TuS Lockhausen, TuS Ahmsen und SportfreundeWarburg antreten. In einem Interview der Lippischen Landeszeitung wurden die Trainer der vier Titelanwärter vorher nach der Schwere ihres Restprogramms gefragt. Alle vier stellte die Hürde Sabbenhausen als maximalen Schwerpunkt ihres Restprogramms heraus. Sie lagen mit ihrer Einschätzung nicht falsch. Die folgenden Spiele wurden allesamt zu Sternstunden des gesamten Vereines. Da waren volle Zuschauerränge, maximale Begeisterung und Wächter hatte eine Mannschaft geformt, die sich als David durchaus ihrer Goliath-Fähigkeiten bewusst war.

 

 

Leidenschaftliche Fußballspiele in Samsen

 

Alle vier Favoriten wurden schließlich in hochklassigen, dramatischen Kämpfen geschlagen. Es waren maximale Kraftanstrengungen.
Zeitzeuge, weil Protagonist Andreas Heptner erinnert sich immer wieder gerne daran zurück: „Schon Tage vorher haben wir uns auf die Spiele gefreut, nervöse Anspannung, aber auch Freude lag in der Luft, die Spiele selber waren körperlich brutal anstrengend, dazu dieses dauernde Bangen, ob der Vorsprung bis zum Schlusspfiff reicht. Wer diese Spiele erlebt hat, weiß, was das Wort Leidenschaft bedeutet. Aber zusammen mit den Zuschauern den Schlusspfiff zu erleben, diesen nicht zu beschreibenden Glücksmoment zu spüren, das ist ein einmaliges Privileg des Sports.“ In der Vereinskneipe, beim Lindenwirt, werden diese Tage gebührend gefeiert. Nach Spielende bevölkern oft an die Hundert Leute die Kneipe bis tief in die Nachtstunden herein, komplett ohne Rücksicht auf den folgenden Arbeitstag . Der Fußball veredelt in diesen Jahren unbedingt die Dorfkultur, sportlich sind es sowieso die Glamour-Zeiten des TSV. Bis zu Wächters Abgang behält das kleinste Dorf der Liga seinen Ruf als Favoritenschreck und grüßt temporär auch mal von den obersten Tabellenplätzen die aufgerüstete Konkurrenz.

 

 

„Was für ein Volk, was für eine Gemeinschaft, alles Verrückte da.“

 

Ab 1996 bis 2002 befindet sich der Verein im dauernden Abstiegskampf, in diesem Zeitraum kämpfen die nachfolgenden Trainer Chust, Hartmann und Hasse jede Saison erfolgreich um den Ligaverbleib, bis der TSV Sabbenhausen 2002 wieder den Gang in die Kreisliga A antreten muss. Von dem damaligen Aufstiegsteam 1991 ist zu diesem Zeitpunkt nur noch Gisbert Marx eine kontinuierliche Kadergröße.
Nie wieder erreicht der TSV in den folgenden Jahren dieses Level, es wäre auch vermessen. Die Rahmenbedingungen allein durch den fehlenden Nachwuchs machen ein solches Wunschdenken zur Utopie. Spurenelemente des besonderen Flairs dieses Vereines werden aber auch heute noch selbst als klassenniedriger Verein gelebt. Und außerdem, fragt man ehemalige auswärtige Spieler, egal, welcher Generation , was ihre beste Station ihrer sportlichen Laufbahn gewesen ist, dann bekommt man fast immer diese Antwort: „Ganz klar Samsen, was für ein Volk, was für eine Gemeinschaft, alles Verrückte da.“
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